Jeder, der sich für Kochen und Essen interessiert, kennt den Balsam-Essig aus Modena, den „aceto balsamico di Modena“. Jeder kennt die dunkle Farbe und sieht vor sich, wie der Balsamico zähflüssig aus der Flasche rinnt. Und hat eine Idee von dem süß-sauren Geschmack.

Was bestimmt jedem beim Einkauf von Modena-Essig aufgefallen ist: es gibt irrsinnige Preisunterschiede.

Die billigsten „Balsamico di Modena“ sind beim Discounter für rund 3 Euro pro Liter zu haben. Im gleichen Regal stehen Balsamico-Flaschen für den zehnfachen Preis. Und wenn man sich im Internet umschaut findet man Essig aus Modena für einige hundert Euro pro Liter. Der teuerste Essig aus Modena, den ich aufspüren konnte, kostet über 2900 Euro pro Liter (wird aber nur in winzigen Fläschchen  verkauft).

Womit hängen diese enormen Preisunterschiede zusammen? Wir haben uns bei einer Reise durch die Emilia Romagna schlau gemacht.

Beginnen wir mit den „preiswerteren“ Balsamicos: Die Bezeichnung „Aceto balsamico di Modena IGP“ ist durch eine EU-Verordnung geschützt, in der definiert ist, was diesen Essig ausmacht. Balsamico di Modena darf nur aus gekochtem Traubenmost oder Traubenmostkonzentrat (min. 20 %, max. 90 %) und aus in Modena (i.d.R. industriell) hergestelltem Weinessig (Min. 10 %, max 80 %) bestehen. Die beiden Komponenten müssen in Modena zusammengemischt werden und dort mindestens 60 Tage in Holzfässern liegen. Mehr wird nicht verlangt. Zum Einfärben darf dem Produkt noch bis zu 2 % Zuckerkulör zugesetzt werden. Und Konservierungsmittel sind auch ok.

Ein herkunftsgeschützter Balsamico aus Modena kann also aus 20 % Traubenmost-Konzentrat aus China und aus 80 % industriell erzeugtem Weinessig bestehen und in Spanien abgefüllt sein. Solch ein Produkt ist dann für einige Euro pro Liter zu bekommen. Unter der selben Herkunftsbezeichnung wird allerdings auch Balsamico verkauft, in dem zu 90 Prozent Trauben aus der Provinz Modena stecken und der weit länger im Fass lag („invecchiato“) – dann ist der Balsamico deutlich teurer.

Wieviel Prozent Most oder Essig verwendet wurden muss auf dem Etikett nicht angegeben werden. Der einzige Hinweis, den der Verbraucher in der Regel erhält, ist die Reihenfolge: wird der Traubenmost oder Traubenmost-Konzentrat auf dem Etikett zuerst genannt sind über 50 % Most in Produkt. Bei derart großen Unterschieden bei der Herstellung sind die Preisunterschiede gut nachvollziehbar. Wie sich das geschmacklich auswirkt muss jeder für sich entscheiden.Bei einem Vergleich der Stiftung Warentest schnitten auch preiswertere Balsamicos teilweise ganz gut ab.

Doch was hat es nun mit den superteuren Balsamicos aus Modena auf sich? Ein einziges Wort macht den Unterschied: „Aceto balsamico TRADIZIONALE di Modena“ bedeutet, dass der Essig rundum aus der Region kommt, ausschließlich aus Traubenmost bestimmter Weinsorten hergestellt wurde und mindestens 12 Jahre in verschiedenen Holzfässern gereift ist. Und vor allem gänzlich anders hergestellt wurde.

Genau anschauen kann man sich das im „Museo del Balsamico Tradizionale di Modena“ in Spilamberto, 10 Km vor den Toren von Modena. Auf dem Dachboden einer alten Villa liegen die Fässer-Batterien der Mitglieder des Essig-Consortiums, darunter auch eine Batterie von Slow Food. Die junge Dame, die uns durch das Museum führte, erklärte uns genau, wie die traditionelle Essigherstellung vor sich geht.

Der Traubenmost von speziellen Trauben wird ein bis zwei  Tage lang gekocht und damit eingedickt. Dann kommt er in das größte Fass der „Batterie“, wo eine Spontanvergärung für etwas Alkohol sorgt und anschliessend die in den Fässern reichlich vorhandenen Bakterien den Alkohol in Essigsäure umwandeln.

Solch eine Batterie besteht aus mindestens 5 Fässern verschiedener Größe aus verschiedenen Holzarten und steht bei jeder Winzerfamilie, die etwas auf sich hält, auf dem Dachboden. Im Sommer ist es hier glühend heiß, im Winter manchmal eiskalt.  Im Sommer verdunstet immer ein Teil des Essigs und diese Menge wird aus dem jeweils nächstgrößeren Fass aufgefüllt. Nach frühestens 12 Jahren wird dann eine kleine Menge vom fertigen Essig aus dem kleinsten Fässchen abgezapft und in winzige Fläschchen abgefüllt.

Manche dieser Batterien sind über 100 Jahre alt,  in dem daraus gewonnenen Essig stecken also – wenn auch kleine – Anteile von Most, der vor 100 Jahren seinen Weg zu „aceto balsamico tradizionale“ begonnen hat. Solch eine Batterie ist ein wertvoller Familienbesitz und wird von Generation zu Generation weitergegeben. Aber immer wieder kommen auch neue Batterien dazu. Unsere Führerin erzählte uns, dass ihre Kinder von den Großeltern jeweils eine eigene Batterie zur Taufe geschenkt bekamen.

Jedes Jahr kürt das Consortio den Hersteller des besten Balsamicos. Auf der großen Übersichtstafel mit den Gewinnern tauchen immer wieder dieselben Familiennamen auf. In einigen Familien weiß man offenbar besonders gut, wie der Essig gepflegt werden muss. Oder hat man dort die besseren Fässer oder die besseren Dachböden?

Einige ausgewählte Raritäten kann man im Museums-Shop kaufen, wenn man bereit ist, tief in die Tasche zu greifen (was wir natürlich waren).

Das i-Tüpfelchen ist danach ein Besuch der örtlichen Eisdiele. Gelato mit Aceto Balsamico ist ein Genuss!

Unsere erste Begegnung mit den Feinheiten der Balsamico-Produktion hatten wir allerdings schon vor unserem Rechercheausflug nach Modena, und zwar in Milano. Im Stadtzentrum fiel uns der Laden des Essigproduzenten Giusti auf, wo uns ein sehr freundlicher Verkäufer von den Vorzügen jahrelanger Essig-Lagerung im Holzfass überzeugen konnte. Natürlich verließen wir den Laden nicht mit leeren Händen …  Die großen Unterschiede zwischen dem „einfachen“ und dem  Balsamico Tradizionale erwähnte er allerdings eher beiläufig …

Wie alle anderen Essigproduzenten aus Modena betont auch Giusti die „jahrhundertealte Tradition“, die seinen Produkten zugrunde liegen soll. Doch wie wir dem sehr lesenwerten Buch „Mythos Nationalgericht“ von Alberto Grandi entnehmen können, ist es damit nicht weit her. Die aufwändige traditionelle Produktion in den Batterien auf den Dachböden gibt es in der Emilia Romagna bestimmt schon recht lang – wobei es wohl krass übertrieben ist, die Ursprünge in der Antike zu suchen. Das DOC-Siegel bekam der Aceto balsamico di Modena allerdings erst in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts und bezog sich nur auf die „traditionelle“ Herstellungsmethode.

Das war natürlich für die Lebensmittelindustrie unbefriedigend, denn nach der althergebrachten Methode wurden allenfalls 10.000 Liter von Mini-Erzeugern hergestellt. Die großen Essigproduzenten setzten also alle Hebel in Bewegung, um auch für ein Massenprodukt eine werbewirksame Bezeichnung zu bekommen. Also wurde im ersten Schritt 1977 der althergebrachte Balsamico mit demZusatz „tradizionale“ versehen. Anschließend begann ein langes Gezerre auf EU-Ebene, bis 2009 erneut der „Aceto balsamico di Modena“ (ohne „tradizionale“) als geschützte geografische Angabe verankert war.

Zwei ganz unterschiedliche Produkte mit sehr ähnlichen Namen – das ist großes Marketing. Ein industrielles Massenprodukt, von dem 50 Millionen Liter pro Jahr hergestellt werden, schmückt sich mit dem Namen einer handwerklich erzeugten Rarität. Und ein hochpreisiges Produkt profitiert von den Werbekampagnen der Billigheimer, die eine mehrdeutige Produktbezeichnung bis in den letzten Winkel der Welt tragen.

Die Essig-Lobby aus Modena wollte allerdings noch eins draufsetzen und versuchte, sich die Bezeichnung „Balsamico“ exklusiv zu sichern. Der Versuch scheiterte allerdings vor dem Europäischen Gerichtshof. „Balsamico“ ist kein geschützter Begriff und darf auf jedes Essigetikett gleich welcher Herkunft geschrieben werden.

Der Erfolg der Marketingstrategen aus Modena ärgerte natürlich die Essighersteller in der Nachbarprovinz Reggio Emilia, denn dort wird seit Jahr und Tag ebenfalls ein Essig hergestellt, der sich von den Produkten aus Modena in nichts unterscheidet. Zum Glück fand sich in einem Text aus dem weiteren Umfeld der Gräfin Matilde von Canossa (die Dame, die 1076 den „Gang zu Canossa“ organisierte) eine kleine Bemerkung über Essig, womit auch diese Region eine jahrhunderte alte Tradition vorweisen konnte. Tatsächlich gibt es inzwischen herkunftsgeschützen Balsamico und Balsamico Tradizionale auch mit dem Zusatz „reggiano“ oder „di Reggio Emilia“.

Dessen Produktion haben wir uns bei dem Essighersteller „Cavalli“ in Scandiano angesehen. Cavalli stellt sowohl „balsamico tradizionale“ als auch den „einfachen“ balsamico her, legt aber Wert darauf, dass in seinen Produkten nur Traubenmost aus der Region steckt und auch der „einfache“ balsamico sehr lang in Fässern reift. Die Führung durch die Dachböden mit den hunderten von Batterien war eindrucksvoll. Und die Verkostung der verschiedenen Produkte geschmacklich überzeugend.  Auch der „Alltags-Balsamico“ von Cavalli hat uns sehr gut gefallen – für Salatsaucen gibt es wohl nichts Besseres.

Die vielen verschiedenen Balsamicos, die wir bei dieser Reise kennengelernt haben, schmecken unterschiedlich. Die großen Preisunterschiede machen sich auch im Geschmack bemerkbar – so denken wir zumindest. Aber ob sich das auch bei einer Blindverkostung bestätigen würde? Dafür würde ich (der Webmaster) dann doch nicht die Hand in ́s Feuer legen 😉

Eines hat uns diese Reise aber auf jeden Fall beschert: eine Hochachtung gegenüber einem traditionellen Produkt, das in dieser Region mit Leidenschaft produziert und konsumiert wird. Und wie immer gilt auch hier: „Wissen erhöht den Genuss“. Also genießen wir den „Aceto balsamico“ in Zukunft noch bewußter und  intensiver!

Drei „Balsamicos“, die uns überzeugt haben: von Giusti, Amerigo und Cavalli
Was es mit „Aceto Balsamico di Modena“ auf sich hat

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