Gaston Ravignac (1757-1780) wäre vielleicht einer der großen französischen Schriftsteller geworden, wäre er nicht mit nur 23 Jahren bei einem Duell ums Leben gekommen (er hatte sich in die Frau eines eitlen Steuerbeamten verliebt). Er hinterließ das Rezept einer Trüffelpastete und einige kurze Erzählungen.

Illustration: Matti Michels

„Monsieur de Thoreau geriet ein Trüffel in die Luftröhre. Er lief ganz rot an und wedel­te wild mit den Armen. Da er jedoch die Angewohnheit hatte, seine Begeisterung über gastronomische Freuden stets sehr theatralisch zu äußern, erkannte keiner der Tischgesellschaft die Gefahr. Madame Dyroff lachte in Erwartung eines Scherzes. Ihr Nachbar, der Abbe Froisac, war viel zu sehr beschäftigt, seiner gewaltigen sterblichen Hülle, in der er seine unsterbliche Seele buchstäblich gefangen hielt, eine getrüffelte Fasanenbrust zu opfern, daß er noch nicht einmal aufschaute. Beim Essen konnte ihn gar nichts stören. Marquis de Fremont legte sein Messer auf den Teller und rief: »Mein lieber Francois, warten Sie doch mit Ihren Scherzen bis zum Dessert. Gelächter verdirbt den Appetit.«

Aber Monsieur de Thoreau, der sonst alles tat, um seinen Spaß beim Essen zu ha­ben, hörte diesen Rat nicht mehr. Ein Zucken ging durch seinen Körper, der sich kaum mehr durch Kleidung bändigen ließ. Für einen Augenblick saß er wie sinnend da, dann kippte er vornüber und zermalmte mit seinem feisten Haupt die Wildpastete. Die Ker­zen flackerten.

Erst jetzt hielt der Abbe mit dem Kauen inne und starrte vorwurfsvoll auf die Zer­störung, die Monsieur de Thoreau auf dem Tisch angerichtet hatte.

Illustration: Sophia Schrade
Illustration: Josephine Pauluth

»Ich glaube, wir müssen einen Arzt rufen«, sagte der Marquis de Fremont und beugte sich vor, um sicherzugehen, ob sie Thoreau nicht doch alle zum besten hielt. Er sah in blicklose Augen.

Mühsam erhob sich der Abbe Froisac, wischte mit der Serviette über den Mund und trat zu dem halb über den Tisch Liegenden. Sehr lange blieb er vor ihm stehen und sagte schließlich, während er ein Kreuzzeichen machte, soweit dies seine dicken Arme überhaupt erlaubten: »Er braucht keinen Arzt, sondern einen Priester.« Sagte es und waltete hastig seines Amtes.

Madame Dyroff stieß einen spitzen Schrei aus, der Marquis de Fremont krallte seine Finger in das Tischtuch, um sich mit einem gefaßten Lächeln an seine Nachbarin, die Contessa di Scoriti, zu wenden, die mit den Tränen kämpfte.

»Meine Liebste, es ist der schönste Tod, den sich einer nur wünschen kann: gerade dann zu sterben, wenn er glücklich ist. Seneca hat diesen.Tod gepriesen.«

Für die Tischgesellschaft stellte sich nun die Frage, was nunmehr zu tun sei. Der Abbé befand, dass es im Sinne des gemeinsamen Freundes wäre, das Diner fortzusetzen.

Der Abbe hob tränenden Auges den Kristallkelch voll Champagner. Der Marqui umarmte die Contessa, und Madame Dyroff zerfloß in Selbstmitleid.

Drei Tage später trugen sie Monsieur de Thoreau zu Grabe. Es regnete, und die Champignons glänzten auf den Wiesen. Der Abbe sah es mit Genugtuung.

Die letzte Ehre, die die Tafelrunde dem Verstorbenen erwies, verwirrte die paar al­ten Frauen, die aus Gewohnheit zu jeder Beerdigung gingen. Der Marquis trat vor das offene Grab und warf eine Handvoll Trüffel über den Sarg.

Nachher trafen sich alle zum Leichenschmaus. Die Trauer hatte sie hungrig gemacht.

Illustration: Steve Clements
Illustration: Steve Clements

Diesen wundervollen Text über den Tod von Monsieur de Thoreau verwendete die Dozentin Anja Steinig der  Berliner Akademie für Illustration und Design im WS 16/17  in ihrem Kurs „Publishing Design“.  Das Ergebnis ist sehr überzeugend – wir drücken die Daumen, dass sich  ein Verlag dafür begeistert!  Herzlichen Dank an die Akademie für die Genehmigung, diese Bilder in Ninas Kochlust  zu zeigen!

http://www.aidberlin.de/newsartikel/publishing-design-ws-16-17.html

Gaston Ravignac: Der Tod eines Gourmands

Beitragsnavigation